Personen mit psychopathischen Charakterzügen: Sind sie in der Lage, Furcht und Reue zu imitieren?

übersetzer: Sophia Scheele

Geschrieben von Dr. Adelle Forth und dem Forschungskommittee

Warum sind Personen mit psychopathischen Charakterzügen in der Lage, andere effektiv zu manipulieren und zu täuschen? Um bei der Manipulation anderer erfolgreich zu sein, muss man laut Jones (2014) in der Lage sein, Anzeichen von Verletzlichkeit bei anderen zu erkennen, eine Enttarnung zu vermeiden, indem man sich vertrauenswürdig gibt, und eine Reihe von Emotionen zu zeigen, auch wenn man sie nicht empfindet. Es gibt zahlreiche Forschungsergebnisse, die darauf hindeuten, dass Personen mit psychopathischen Zügen in der Lage sind, Emotionen bei anderen zu erkennen, aber nicht die gleiche Intensität von Emotionen erleben wie andere. Einige Forscher und Forscherinnen gehen davon aus, dass Personen mit psychopathischen Zügen generell keine emotionalen Reaktionen zeigen, während andere vermuten, dass sich diese abgeschwächte emotionale Reaktion auf Angst, Traurigkeit und Reue beschränkt.  Ziel der Studie von Book und Kollegen (2015) war es, herauszufinden, wie gut Personen mit psychopathischen Charakterzügen ängstliche Ausdrücke nachahmen und Reue vortäuschen können. Es wurden drei Studien mit einer Vielzahl von Stichproben und Methoden durchgeführt.

In Studie 1 wurden Studenten und Studentinnen, Gemeindemitglieder, und Straftäter und Straftäterinnen auf psychopathische Züge hin untersucht, wobei eines von zwei Messinstrumenten verwendet wurde: die Hare Psychopathy Checklist-Revised (Hare, 2003) oder die Levenson‘s Self-Report Psychopathy Scale (Levenson et al., 1995). Jeder Teilnehmer oder jede Teilnehmerin wurde gebeten, sich ein Foto von jemandem anzusehen, der einen ängstlichen Gesichtsausdruck zeigt, und diesen Gesichtsausdruck zu reproduzieren, während er oder sie auf Video aufgenommen wurde. Ein Foto wurde gemacht, wenn der Teilnehmer oder die Teilnehmerin anzeigte, dass er oder sie den Gesichtsausdruck nachgeahmt hatte. Mit dem Facial Affect Coding System (FACS; Ekman & Friesen, 1978) wurden die einzelnen Gesichtskomponenten (Augen, Augenbrauen, Mund) auf dem Foto kodiert, um die Fähigkeit des Teilnehmers oder der Teilnehmerin zu bestimmen, den ängstlichen Gesichtsausdruck richtig darzustellen. Die gestellten Fotos wurden einer anderen Gruppe von Studenten und Studentinnen gezeigt, die bewerteten, wie echt der ängstliche Gesichtsausdruck erschien. In allen Gruppen waren höhere FACS-Genauigkeitswerte und Bewertungen der Echtheit am stärksten mit höheren Werten für interpersonelle und affektive psychopathische Merkmale verbunden. Diese Ergebnisse unterstützen die Idee, dass Personen mit psychopathischen Zügen ängstliche Ausdrücke nachahmen können.

In Studie 2 wurde die Emotion „Reue“ untersucht. Männliche Studenten wurden mit Hilfe des Psychopathic Personality Inventory (Lilienfeld & Hess, 2001) auf Psychopathie untersucht und wurden beim Erzählen einer wahren Geschichte gefilmt, während sie Reue vortäuschten (sie beschrieben ein Ereignis, das tatsächlich passiert war, bei dem sie aber keine Reue empfanden; z.B. den Partner oder die Partnerin betrügen, einen Freund oder eine Freundin anlügen). Während sie ihre Geschichte erzählten, wurden sie aufgefordert, Reue vorzutäuschen. Diese vorgetäuschten Reuegeschichten wurden einer neuen Stichprobe von Studenten gezeigt, denen nicht gesagt wurde, dass die Personen im Video Reue vortäuschten. Diejenigen Studenten, die bei den zwischenmenschlichen und affektiven psychopathischen Merkmalen (z.B. manipulativ, grandios, keine Reue) besser abschnitten, wurden von anderen als echter reumütig wahrgenommen. Interessanterweise wurden Personen, die bei den psychopathischen Verhaltens- und Lebensstilmerkmalen (z. B. Impulsivität, Sensationslust, schlechte Wutkontrolle) besser abschnitten, von anderen als weniger reumütig wahrgenommen.

In Studie 3 wurde eine ähnliche Methodik wie in Studie 2 angewandt, jedoch wurden inhaftierte Gewalttäter gebeten, eine Geschichte über vorgetäuschte Reue zu erzählen, während sie auf Video aufgenommen wurden. Vier Videos mit vorgetäuschten Reuegeschichten wurden ausgewählt, um vier verschiedene Kombinationen von Psychopathy-Checklist-Revised Faktorwerten zu repräsentieren. Faktor 1 (F1) misst die zwischenmenschlichen und affektiven Merkmale der Psychopathie und Faktor 2 (F2) misst die Lebensstil- und Verhaltensmerkmale der Psychopathie. Die vier Videos repräsentieren Folgendes: (1) niedriger F1/niedriger F2, (2) niedriger F1/hoher F2, (3) hoher F1/niedriger F2 und (4) hoher F1/hoher F2). Diese vier Videos wurden einer Gruppe von Studenten vorgeführt, die bewerten sollten, wie echt sie die Reue in jedem Video empfanden. Die Studenten und Studentinnen bewerteten Täter, die einen hohen F1-Wert aufwiesen, als authentischer im Vergleich zu Tätern, die einen niedrigen F1-Wert aufwiesen.

Die Ergebnisse dieser drei Studien stützen die Annahme, dass Personen mit psychopathischen Zügen sowohl Angst als auch Reue vortäuschen können. Personen mit psychopathischen Zügen können eine Vielzahl von Strategien anwenden, um andere zu manipulieren, einschließlich affektiver Imitationen. Zukünftige Forschungen sollten untersuchen, ob Personen mit psychopathischen Zügen auch andere Emotionen wie Wut, Traurigkeit und sogar Glück nachahmen können.

Referenz: Book, A., Methot, T., Gauthier, N., Hosker-Field, A., Forth, A., Quinsey, V., & Molnar, D. (2015). The mask of sanity revisited: Psychopathic traits and affective mimicry. Evolutionary Psychological Science1, 91–102.

Zusätzliche zitierte Referenzen:

Ekman, P., & Friesen, W. V. (1978). Facial action coding system: a technique for the measurement of facial movement. Palo Alto, CA: Consulting Psychologists Press.

Hare, R. D. (2003). The Hare Psychopathy Checklist–Revised, 2nd Edition. Toronto, ON: Multi- Health Systems.

Jones, D. N. (2014). Predatory personalities as behavioral mimics and parasites: Mimicry-deception theory. Perspectives on Psychological Science9, 445–451.

Levenson, M. R., Kiehl, K. A. & Fitzpatrick, C. M. (1995). Assessing psychopathic attributes in a noninstitutionalized population. Journal of Personality and Social Psychology, 68, 151-158.

Lilienfeld, S. O., & Hess, T. H. (2001). Psychopathic personality traits and somatization: sex differences and the mediating role of negative emotionality. Journal of Psychopathology and Behavioral Assessment, 23, 11–24.