Psychopathische Züge sowie reaktive und instrumentelle Gewalt bei jungen weiblichen Straftäterinnen

Translator: Sophia Scheele

Einleitung

Trotz der zunehmenden Repräsentation weiblicher Jugendlicher im forensischen System sind sie eine auffallend wenig untersuchte Population. Um diese Population besser zu verstehen, wurden 145 junge weibliche Straftäterinnen, die eine Gewalttat begangen hatten, auf psychopathische Züge, spezifische Motivationen (instrumentelle vs. reaktive) für das Verbrechen und Tatmerkmale (wie Informationen über ihre Opfer, den Gebrauch von Waffen, den Gebrauch von Substanzen und das Ausmaß der Opferverletzung) untersucht. Hutton und Woodworth untersuchten insbesondere die Beziehung zwischen psychopathischen Zügen und instrumenteller Gewalt.

Forscher haben vorgeschlagen, dass es zwei Haupttypen von Gewalt gibt (Berkowitz, 1993); reaktive und instrumentelle Gewalt. Reaktive Gewalt wird in der Regel als Gewalt beschrieben, die auftritt, wenn Personen ihre anfängliche Reaktion auf einen emotionalen Stimulus, wie eine wahrgenommene Beleidigung oder eine drohende körperliche Gefahr, nicht unterdrücken können (d.h. sie reagieren mit Gewalt). Akte reaktiver Gewalt haben kein über die eigentliche Aggression hinausgehendes Ziel. Im Gegensatz dazu wird instrumentelle Gewalt meist als Gewalt definiert, die geplant ist und keine starke emotionale Komponente aufweist. Instrumentelle Gewalttaten sind zielgerichtete Verhaltensweisen (oft recht kohärent und organisiert), die in der Regel ausgeführt werden, um eine externe Belohnung zu erhalten oder um ein anderes Ziel als die aggressive Handlung zu erreichen. Es wurde festgestellt, dass diese beiden Arten von Gewalt miteinander verwandt sein können und dass eine aggressive Handlung Elemente von beiden enthalten kann (z. B. Bushman & Anderson, 2001).

Um dieses Problem zu lösen, verwendeten Hutton und Woodworth einen Vier-Kategorien-Ansatz zur Klassifizierung aggressiver Handlungen, der von Woodworth und Porter (2002) eingeführt worden war. Konkret hatten Woodworth und Porter vorgeschlagen, Gewaltdelikte in eine von vier Kategorien einzuordnen: rein reaktiv, reaktiv/instrumentell, instrumentell/reaktiv oder rein instrumentell. Kurz gesagt, sie erkannten nicht nur rein reaktive Gewalt und rein instrumentelle Gewalt, sondern bezeichneten auch einige Taten als reaktiv/instrumentell, um darauf hinzuweisen, dass die gewalttätigen Handlungen in erster Linie reaktiv waren, wie zuvor beschrieben, aber auch Anzeichen für instrumentelles Verhalten enthielten, d. h. die Taten beinhalteten eine gewisse Planung, obwohl die Gewalt in erster Linie durch einen Mangel an angemessener Regulierung aggressiver Impulse angetrieben wurde. Im Gegensatz dazu waren die instrumentellen/reaktiven Handlungen in erster Linie instrumentell, wie zuvor beschrieben, enthielten aber auch Anzeichen von Ärger oder Wut, die nicht echt sind oder das gewalttätige Verhalten nicht wirklich antreiben, sondern bewusst eingesetzt oder als Teil einer Manipulation in eine Handlung einbezogen werden.

Vorgehen

Alle Unterlagen wurden von zwei umfassend geschulten Hochschulstudierenden gründlich überprüft sowie auf Psychopathie kodiert und in die vier Gewaltkategorien sortiert.

Ergebnisse

Merkmale des Opfers:

Die 145 jungen Straftäterinnen in dieser Studie waren zum Zeitpunkt des Gewaltdelikts zwischen 12.2 und 17.9 Jahre alt (M = 15,5, SD = 1.3). Zwei Drittel (66.2%) der Stichprobe waren Nicht-Aborigines, 31.5% der Stichprobe waren Aborigines, und bei den Übrigen wurde die ethnische Zugehörigkeit nicht angegeben (2.3%). Etwa drei Viertel der Fälle betrafen weibliche Opfer (75.8%), 14.5% der Opfer waren männlich, und bei 9.7% der Straftaten gab es sowohl ein männliches als auch ein weibliches Opfer. Bei der Betrachtung der Beziehung zur Täterin gab es einen gleich hohen Prozentsatz von Opfern, die der Täterin fremd waren (27.6%), und von Opfern, die in einer besonderen Beziehung zu ihr standen (z. B. Lehrer, Babysitter; 27.6%), gefolgt von Opfern, die sie kannten (21.1%), Opfern, die in einer engen Beziehung zur Täterin standen (z. B. Freund, Verwandter, Partner; 12.2%), und Opfern, die der Täterin sehr nahestanden (z. B. unmittelbares Familienmitglied, Liebespartner; 11.4 %).

Ort:

Die meisten Straftaten ereigneten sich an öffentlichen Orten (56.9%), aber es gab auch einen beträchtlichen Prozentsatz von Straftaten, die in der Wohnung der Jugendlichen (19.5%), in einer anderen Wohnung (13.0%) oder in der Schule oder am Arbeitsplatz (8.9 %) stattfanden.

Waffengebrauch:

Bei 86.3% aller codierten Straftaten wurde körperliche Gewalt angewendet. Verbale Drohungen wurden bei 44.9% der Straftaten eingesetzt. Bei mehr als der Hälfte der Straftaten (58.1%) kam es zu körperlicher Gewalt ohne Waffengebrauch, bei 28.2% zu körperlicher Gewalt mit Waffengebrauch und bei 13.7% zu keiner körperlichen Gewalt und keinem Waffengebrauch. Wenn eine Waffe im Spiel war, wurde am häufigsten ein Gegenstand (z. B. eine Flasche Alkohol) benutzt (53.5%), gefolgt von einem Messer (41.9%).

Substanzkonsum:

Informationen über Alkohol- oder Drogenkonsum vor oder während des Indexdelikts lagen für 73.0 % (n = 106) der Stichprobe vor. Bei mehr als der Hälfte der Straftaten (62.3%) war die Täterin nicht alkohol- oder drogenabhängig.

Psychopathie:

Die Werte für Psychopathie reichten von 4.2 bis 34.0 (M = 18.83, SD = 7.04). Die überwiegende Mehrheit der Täterinnen (93.0%) erreichte einen Wert unter 30; 7.0% erreichten einen Wert von 30 oder mehr.

Motive (instrumentell vs. reaktiv):

Anhand des Vier-Kategorien-Ansatzes für Instrumentalität und Reaktivität wurden 122 gewalttätige Indexdelikte untersucht. Davon waren 44.3% rein reaktiv, 18.9% reaktiv/instrumentell, 19.7% instrumentell/reaktiv und 17.2% rein instrumentell.

Psychopathie und Instrumentalität:

In dieser Stichprobe junger weiblicher Straftäterinnen standen die Psychopathiewerte in keinem Zusammenhang mit der Instrumentalität. Weder der Gesamtwert der Psychopathie noch einer der Faktoren- oder Facettenwerte standen in Zusammenhang mit der Verwendung von instrumenteller bzw. reaktiver Aggression.

Schlussfolgerung

Bei fast 40.0% der Straftaten wurde eine Kombination aus instrumentellen und reaktiven Motiven festgestellt. 44.3% der Straftaten wurden als rein reaktive Straftaten eingestuft, was darauf hindeutet, dass viele dieser jungen Straftäterinnen eher impulsive und spontane Straftaten verübten.

Betrachtet man die Beweggründe für die Straftaten, die eine instrumentelle Komponente enthielten, so wurde Gewalt am häufigsten zum Zwecke der Rache oder Vergeltung eingesetzt.

In dieser Stichprobe war die Wahrscheinlichkeit, dass die Täterinnen fremde Personen zu Opfern machten, ebenso hoch wie die derjenigen, die in einer besonderen Beziehung zur Täterin standen.

Bei den meisten Frauen in der Stichprobe wurden vor oder während der Straftat keine Drogen oder Alkohol konsumiert. Der Konsum von Substanzen stand jedoch in Zusammenhang mit einer größeren Verletzung des Opfers und einer höheren Wahrscheinlichkeit, körperliche Gewalt zu verüben.  In 27.0% der Straftaten wurden Waffen verwendet, um das Opfer zu verletzen. In der aktuellen Stichprobe wurde am häufigsten ein Gegenstand (z. B. eine Flasche Alkohol) als Waffe verwendet (48.9%), gefolgt von einem Messer (38.3%).

Wie in anderen Studien festgestellt, war die Prävalenz psychopathischer Merkmale in der aktuellen Stichprobe jugendlicher Straftäterinnen im Vergleich zu Studien über männliche Straftäter geringer (z. B. Forth et al., 2003; Kosson et al., 2002). Die Ergebnisse zeigten, dass weibliche Jugendliche mit einem hohen Maß an psychopathischen Merkmalen nicht signifikant mehr instrumentelle Gewalt anwenden als solche mit einem niedrigen Maß an psychopathischen Merkmalen. Diese Studie ergänzt eine wachsende Zahl von Belegen dafür, dass sich Mädchen und Frauen mit psychopathischen Zügen in wichtigen Punkten von Jungen und Männern mit psychopathischen Zügen zu unterscheiden scheinen.